Brands in der Bredouille

Was tun beim Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel?

Kinder brauchen besonderen Schutz. Daran erinnert auch der Weltkindertag am 1. Juni. Einen eigenen Weg schlägt der Bundesernährungsminister ein: Mit seinem geplanten Werbeverbot für ungesunde Ernährung will er Kinder vor Produkten mit zu viel Zucker, Fett und Salz schützen. Müssen Brands jetzt handeln? 

Werbung wirkt. Schnell läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ein cooler Snack eingeblendet wird. Viele ungesunde Sachen sind leider aber auch lecker. Hier ein Schokoriegel, dort eine Handvoll Chips. Dazu ein Glas Limonade. Oder auch zwei. Und zum Essengehen am liebsten zu McDonalds oder in die Pizzeria. Viele landen so schon früh in der Junkfood-Falle.  

Ungesunde Ernährung ist ein Problem, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Denn wer in dem Alter schon Übergewicht aufbaut, wird es später kaum noch los und riskiert Spätfolgen. Das passiert gerade knapp zwei Millionen junger Menschen in Deutschland. Das sind rund 15 Prozent der Drei- bis Siebzehnjährigen. Bis zu sechs Prozent sind bereits adipös. Das sind alarmierende Zahlen, keine Frage.  

Wie bricht man diesen Trend? 

Nach Einschätzung von Ernährungsminister Cem Özdemir durch weniger Reize. Daher will er der Werbung an den Kragen. Mit Verboten zu festen Uhrzeiten und in bestimmten Formaten. Das geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) ist ein mutiger Vorstoß, der unter anderem mit diesen Fakten begründet wird:  

  • Kinder, die Medien nutzen, sehen täglich im Schnitt 15 Werbespots für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.  

  • durchschnittlich 92 Prozent der Lebensmittelwerbung, die Kinder in Internet und TV wahrnehmen, ist für Produkte wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten.  

  • Kinder essen etwa doppelt so viele Süßwaren und Snacks, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen.  

Das bringt uns direkt zu unserer Frage aus der Einleitung: „Müssen Brands jetzt handeln?“ 

Aus heutiger Sicht können wir sie mit einem klaren Jein beantworten. Zum einen ist fraglich, wann und inwieweit das Gesetz überhaupt umgesetzt wird. Der erste Entwurf aus dem Jahr 2023 wurde schon erheblich abgespeckt. Zum anderen soll das Verbot sich nur auf bestimmte Uhrzeiten und Kanäle beschränken. Um das besser zu einordnen zu können, schauen wir uns die Planung einmal genauer an.  

Wie soll das Werbeverbot aussehen? 

Özdemir will Werbung für Produkte mit zu viel Zucker, Fett und Salz im Fernsehen und online vollständig verbieten, und das montags bis freitags von Freitag von 17 bis 22 Uhr. Nebenbei bemerkt die Hauptsendezeit mit den meisten Zuschauern und höchsten Werbeeinnahmen. Mit einem Verbot für Plakatwerbung rund um Kindergärten und Schulen soll darüber hinaus explizit die Adressierung von Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen werden.  

Welche Produkte dürfen nicht mehr beworben werden? 

Grundsätzlich geht es um diese Lebensmittel: 

  • mit mehr als 1 Gramm Trans-Fettsäuren pro 100 Gramm 

  • Produkte mit 0,5 % oder mehr der Gesamtenergie aus Alkohol 

  • Produkte der Lebensmittelkategorie 1 (Schokolade und Süßwaren, Energieriegel, süße Toppings und Desserts) 

  • Produkte der Lebensmittelkategorie 2 (Kuchen, süße Backwaren und Backwaren-Mischungen) 

  • Produkte der Lebensmittelkategorie 4 (Fruchtsäfte, Energy Drinks) und 5 (Speiseeis) 

Für andere Produktgruppen tritt das Werbeverbot ein, wenn bestimmte Grenzwerte bei Nährwert oder kritischen Nährstoffen pro 100 Gramm nicht überschritten werden. Gemäß einem Gutachten im Auftrag des Lebensmittelverbands und des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft wären 70 bis 80 Prozent aller Lebensmittel davon betroffen!

Auf welche Produktgruppen soll das Werbeverbot nicht zutreffen? 

  • Milch 

  • Milchgetränke  

  • Getränke aus Soja, Nüssen oder Samen 

  • Joghurt 

  • Fruchtsaft 

sofern kein Zucker oder Süßstoff hinzugefügt wurde. Der Fettgehalt spielt hier keine Rolle. 

Nicht alle finden den Vorstoß gut: Das wird kritisiert 

Negative Stimmen gibt es zuhauf – und das nicht nur aus der Lebensmittelindustrie und aus der Werbung. Auch innerhalb der Regierungskoalition ist man sich nicht einig. Klar, ungesunde Ernährung ist ein Problem. Sie kann Adipositas oder Diabetes führen. Doch: Dick werden die Kinder nicht durch die Werbung. Sondern durch zu wenig Bewegung und einen Mangel an ausgewogener Ernährung. Hier sind die Eltern, aber auch Pädagogen gefragt, um aufzuklären und Anreize zu schaffen.  
Dann wäre wiederum eine verbesserte Kennzeichnung von Lebensmitteln besser geeignet. Der Nutri-Score geht bereits seit 2020 in die richtige Richtung. Verpflichtend ist er allerdings noch nicht. Die Angabe von Nährwerten hingegen schon, aber die studieren vermutlich nur die Menschen, die sich ohnehin für eine gesunde Ernährung interessieren und obendrein Augen haben, die gut genug sind, das Kleingedruckte zu entziffern.  
Denkbar außerdem: eine Begrenzung von Zuckerzusätzen oder gar eine Zuckersteuer. In Ländern wie Großbritannien funktioniert das gut.  
Ein weiterer Kritikpunkt ist eine Überregulierung und staatliche Bevormundung. Hatten wir alles schon bei der massiven Einschränkung in der Tabakwerbung. Daran haben wir uns schnell gewöhnt. Wenn auch nicht mit Erfolg: Der Umsatz von E-Zigaretten hat sich laut Verband des E-Zigarettenhandels seit 2011 versechsfacht. Interessanterweise befürworten 59 Prozent der Deutschen dennoch ein Verbot von Alkoholwerbung. Das ergab eine Umfrage im Auftrag des Bundesdrogenbeauftragten Burkhard Blienert (SPD).  Regulierung ist aus Sicht der Konsumenten also bisweilen tatsächlich erwünscht.  

Was können Brands tun? 

Nun kannst Du als Hersteller in den Chor der Kritik einstimmen. Oder Du handelst. Denn tatsächlich bietet eine solche Regulierung auch Chancen.  Vor allem, wenn sie vom Verbraucher befürwortet wird. Und am besten nutzt Du Deine Chancen, bevor ein Gesetz Dich überhaupt dazu verpflichtet.

Der Markt macht das schon vor: 

Selbstverantwortung übernehmen 

Als erster deutscher Lebensmitteleinzelhändler bewirbt Lidl bereits seit 2023 keine ungesunden Lebensmittel mehr an Kinder. Weder im TV noch im Radio, auf Social Media und in den Handzetteln. Ausnahmen sind Aktionen zu Weihnachten, Ostern und Halloween. Als Hersteller könnte das so aussehen, dass Du schon jetzt aus eigenem Antrieb keine Werbung mehr machst, die sich direkt an Kinder richtet. Beispielsweise im Umfeld von Kindersendungen.  

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Rezepte und Produkte ändern 

Warum nicht jetzt schon Rezepturen so anpassen, dass sie gar nicht erst so ungesund sind? Daran arbeitet Danone mit seinen Fruchtzwergen schon lange. Der Energiegehalt der ehemaligen Kalorienbombe wurde durch die Reduzierung von Zucker und Fett seit 1981 um 44 Prozent gesenkt. Eine weitere Möglichkeit sind ganz neue Produktportfolien, die von vornherein auf eine gesunde Ernährung setzen. Snacks aus getrockneten Früchten zum Beispiel oder Erfrischungsdrinks aus Nüssen oder zuckerzusatzfreien Milchshakes.  

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Zielgruppen erweitern 

Muss Dein Produkt denn überhaupt ausschließlich Kinder adressieren? Was ist mit der Generation der Eltern oder sogar der Großeltern? Klar, auch die sollen sich nicht ungesund ernähren. Aber sie haben zumindest – im idealen Fall – das nötige Wissen und können eine kleine Sünde bewusst durch Bewegung oder einen Veggie-Day wieder ausgleichen. Damit löst sich ein weiteres Problem: Was verboten ist, wirkt ja bekanntermaßen besonders anziehend. Statt heimlich zu naschen, können die Kids durch das gemeinsame Snacken gleich den bewussten Umgang und das richtige Maß erlernen. 

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Werbeformate überdenken 

Wie geschrieben: Das Gesetz soll sich rein auf TV und Out of Home, ggfs. Online beschränken. Das lässt ja noch sehr viel Spielraum für andere Werbemaßnahmen, zum Beispiel POS-Aktivierung im Handel (Instore, Onpack), Sampling & Verkostungen, Direktmarketing bspw. über Conversational Marketing, Sponsoring & Product Placements, Retail Media...  

Natürlich gilt auch hier: Die Werbung darf nicht an Kinder adressiert sein. Da sind wir wieder beim Punkt der Selbstverantwortung, dir durchaus auch schon vor Einführung des KLWG zum Einsatz kommen darf.  

Unser Fazit 

Verantwortung zahlt sich aus: Wer jetzt seine Produkte und ihre Vermarktung entsprechend anpasst, wird die Herzen der Shopper erobern.  Jetzt ist der Zeitpunkt, um proaktiv in zukünftige Werbestrategien zu investieren. Zum Wohl Deiner Brand, Deiner Shopper und nicht zuletzt der Kinder. Was können wir für Dich tun? 

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